Julia-Rosa Reis: Flüchtlingen helfen – wie schaffen wir das?

Refugees Welcome: Julia-Rosa Reis: Flüchtlingen helfen – wie schaffen wir das?

Im Rahmen des Aktionskreises »Refugees Welcome« hat die Hamburger Fotografin Julia-Rosa Reis im vergangenen Sommer eine Deutsch-AG für Flüchtlinge geleitet. Wir haben Julia-Rosa Reis gebeten, uns von ihren Erfahrungen zu berichten, die sie in diesem Zeitraum gemacht hat – von den guten und auch von den weniger guten.

Der Sommer 2015, war zwar nicht klimatisch, dafür demografisch ein Jahrhundertsommer und hat Deutschland so viele Zuwanderer beschert wie seit den Dreißiger Jahren nicht mehr. Die nicht enden wollenden Flüchtlingsströme haben unsere lieb gewonnenen Wohlfahrtsstaat-Annehmlichkeiten, die wir hierzulande genießen und in Anspruch nehmen, als seien sie eine Selbstverständlichkeit, innerhalb nur weniger Wochen ins Wanken gebracht. Plötzlich betrachten wir uns und unserer Leben – gezwungenermaßen – aus einem anderen Blickwinkel. Nämlich aus der Perspektive derer, die das Schicksal nicht so großzügig bedacht hat. Glücklicherweise hat genau dieser Perspektivenwechsel zu ungeahntem Engagement geführt. Und ohne das Engagement der vielen freiwilligen Helfer wäre der deutsche Staat mit dieser Ausnahmesituation heillos überfordert gewesen (und er wäre es heute, ein gutes Jahr später noch immer). Eine, die ihr gewohntes Leben von einen Tag auf den anderen den Flüchtlingen zuliebe hat links liegen lassen und sich stattdessen sprichwörtlich nach Leibeskräften engagiert hat, ist Julia-Rosa Reis, 27 Jahre. Im Rahmen des Aktionskreises »Refugees Welcome« hat die Hamburger Fotografin eine Deutsch-AG für Hamburger Flüchtlinge geleitet. Für zweieinhalb Monate war sie auf einem Schlag zuständig für die Betreuung und Delegierung von über 150 ehrenamtlichen Lehrkräften, die wiederum 1.200 Flüchtlingen 7 Tage die Woche zu je 6 Stunden am Tag, Deutschkenntnisse vermittelt haben. Wir haben Julia-Rosa Reis gebeten, von ihre Erfahrungen zu berichten, die sie in der Zeit gemacht hat – von den guten und auch von den weniger guten.

 

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Als im Sommer plötzlich lauter fremde Menschen vor den Hamburger Messehallen saßen, bist du stutzig geworden und hast nachgefragt, was es damit auf sich hat. Kurzerhand hast du ein Video gedreht und dieses auf Facebook gepostet …
Eines heißen Sommertages bin ich mit dem Rad an den Messehallen vorbei gefahren und habe gesehen, dass dort zahlreiche junge Menschen auf der Treppe des Haupteingangs saßen. Am Halleneingang drückten sich Kinder herum und ich habe mich gefragt, was da los ist und einen der Aufseher angesprochen. Der hat mir von den 1.200 Menschen berichtet, die seit zwei Tagen die Halle ihr Zuhause nannten. Vor einem Nebeneingang war ein mit grünen Planen abgehängter Bauzaun aufgebaut, über dem Handtücher hingen. Durch den Zaun konnte man Kinder auf dem Hof herumrennen sehen. Ich war schockiert von diesem unwirklichen Ort: Menschen, Erwachsene und Kinder eingesperrt hinter einem Zaun? Kurzerhand habe ich ein Foto mit meinem Handy von den Spenden gemacht, die dort in den ersten zwei Tagen abgegeben wurden: Ein blauer Müllsack gefüllt mit Kleidung und viele Spielsachen – unter anderem ein überlebensgroßer Bär. Ein surrealer Anbick. In dem Moment wurde mir klar, dass ich meinen Plan, nach Sri Lanka zu fliegen, um dort Dorfkindern Unterricht zu geben, über den Haufen werfen konnte. Jetzt herrschte Notstand direkt vor der Haustür. Kurzum habe ich später am Abend ein Video mit den Infos, die ich zur Lage in und um die Halle herum sammeln konnte, aufgenommen. Das Video habe ich dann auf meiner Facebook-Seite hochgeladen – mit der Bitte um Spenden sowie der Bitte, zur Stadtteilversammlung des Karoviertels (in dem die Messehalle verortet ist) zu kommen. Das Treffen war vorerst nur für Helfer aus dem Viertel gedacht. Nach kurzer Internetrecherche bin ich darauf gestoßen und war froh, festzustellen, dass es bereits eine Bewegung gab, die helfen wollte.

Wie waren die Reaktionen auf dein Video?
Es wurde wild kommentiert – vor allem auch von meinen Bekannten aus meiner Heimat Bayern. Dort ist die Flüchtlingswelle schließlich als erstes angerollt. Viele wollten wissen, wie es in der Halle aussieht, wie die Leute versorgt sind. Die meisten haben somit auch zum ersten Mal von der großen Anzahl an Menschen in der Halle erfahren. Das Video wurde in den folgenden Tagen dann viele Male geteilt. Nicht zuletzt weil ich »Tipps« zu den Spenden angegeben habe – zum Beispiel, dass es wichtig ist, die Hosen und T-Shirts nicht alle in eine Tüte zu stopfen, sondern diese mit Labels »für Frauen«, »für Männer« und den entsprechenden Größen zu versehen.

Wie genau hat dein Engagement für die Flüchtlinge in Hamburg begonnen?
Mein Engagement hat eigentlich genau mit dem Gespräch mit den Guards, dem Video und dem Besuch der ersten Versammlung im Karoviertel begonnen. Zehn Minuten nach Beginn der Versammlung habe ich mich auf der Bühne mit Mikrofon wiedergefunden und habe über den aktuellen Stand in und um der Halle berichtet. Eine Stunde später fand ich mich draußen wieder – umringt von 80 Menschen, die gerne Deutschunterricht geben wollten. Mit soviel Zuspruch hatte absolut nicht gerechnet, ich hatte eine Mailingliste für gerade mal 15 Leute mitgebracht. Es war wahnsinnig schön zu sehen, wie begeistert alle waren.

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Ich bin sehr gerechtigkeitsstrebend und helfe generell gerne

Hast du vorher jemals Deutsch-Unterricht gegeben oder dich ehrenamtlich betätigt?
Ich bin sehr gerechtigkeitsstrebend – wo immer ich einen Missstand sehe, möchte ich helfen. Und ich weiß, dass man manchmal schon mit einem lieben Wort etwas bewegen kann. Richtig angepackt habe ich davor vor allem im Bereich Umweltschutz und Kinderbetreuung. Als ich als Kind im Internat war, haben wir Kinder eines Asylbewerberheims bei ihren Hausaufgaben betreut. Ich helfe generell gerne.

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Es war sehr wichtig, schnelle und gute Entscheidungen zu treffen

Welche Eigenschaften sollte man mitbringen, wenn man sich ehrenamtlich engagieren möchte?
Ich habe Kommunikationsmanagement studiert und Kommunikation ist bekanntlich alles. Man muss sich in die Person vor sich hineinversetzen können, Empathie ist eine gute Grundlage. Generell denke ich, ist es wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, warum man helfen möchte. Während der Organisationszeit der Deutsch-AG habe ich sehr viel über Leadership gelernt. Es gibt verschiedene Gründe, warum Menschen helfen, und nicht jeder bringt die gleiche Grundeinstellung zum Thema »Helfen« mit. Ich habe in dieser Zeit den Leitsatz »Ist es gut für die Flüchtlinge, bringt es uns nicht in Schwierigkeiten und ist es umsetzbar« verinnerlicht. Immer wenn es etwas zu delegieren gab, habe ich diesen Leitsatz als Prinzip weitergegeben. Weil es sehr wichtig war, schnelle und gute Entscheidungen zu treffen.

Wie waren die Reaktionen bezüglich deines Engagements in deinem Freundeskreis?
Durchweg positiv und viele, wenn nicht gar alle, haben mitangepackt. Letztendlich war es der Sommer der freiwilligen Helfer. Ohne die vielen Freiwilligen, sprich Ehrenamtlichen, wäre die Zeit für die Flüchtlinge in der Messehalle sicherlich nicht so glimpflich verlaufen. Trotzdem hat es an vielem gemangelt, es gab unsägliche Diskussionen auf bürokratischer Ebene und es war unfassbar, wie manche Menschen das Engagement blockiert haben. Wartezeiten, Formulare, Zuständigkeitsquerelen und Machtgehabe. Manchmal schien es so, als gäbe es nur Bremser und Nörgler, andererseits waren das Engagement und die Hingabe der Helfer überwältigend.

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Am gefährlichsten ist die Weltanschauung derer, die sich die Welt nicht angeschaut haben

Mit welchen Vorurteilen (von Außenstehenden) hattest du zu kämpfen?
Mit den gleichen, mit denen Deutschland zu kämpfen hat: Unterinformation und Verallgemeinerung. Der Mensch neigt dazu, in vielen kleinen Vorgängen das große Ganze zu suchen, denn Klischees helfen uns, im Alltag den Überblick zu behalten. Das Schubladendenken hilft uns also quasi dabei, uns schneller zurecht zu finden. Aber wenn Fremde auf Einheimische treffen, funktioniert das nun mal nicht – da müssen die Schubladen zubleiben, zumindest bis man sich kennengelernt hat. »Am gefährlichsten ist die Weltanschauung derer, die sich die Welt nicht angeschaut haben.« So hat es der Naturwissenschaftler und Ethnologe Alexander von Humboldt mal sehr treffend auf den Punkt gebracht.

Was hast du empfunden, als du das erste Mal die Messehallen betreten hast und dort die vielen Flüchtlinge in ihrer temporären Behausung gesehen hast?
Das erste Mal habe die Halle ich mit einem kleinen Trupp an Helfern, die sich über das Facebook-Video bei mir gemeldet hatten, betreten. Wir waren dort, um Formulare und Verträge auszufüllen. Das Büro der Organisationsfirma Fördern und Wohnen (F&W), mit denen wir später noch sehr eng zusammen arbeiten sollten, war bereits vor Ort in der Halle. Im Büro trafen wir auf zwei Mitarbeiter von F&W, die verschenkten gerade Wasserbomben-Ballons an fünfjährige Jungs. Mir ging nur durch den Kopf: Gefährlich, Verschluckungsgefahr. Und zum Aufpusten sind diese Wasserbomben-Ballons sowieso nicht, die sind für Wasserdruck gemacht und nicht für Kinderlungen. Ein paar Minuten später hatte ich dann auch schon einen der Jungs mit »Hey Sista!« am Rockzipfel hängen. »Schwester – mir ist fast das Herz gebrochen und die Geschichten über die Anreise der Kinder und ihren Eltern wollte ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellen. Draußen vor dem Büro hingen viele Zeichnungen der Kinder: »Thank you Germany!« Das hat uns alle umgehauen, kurze Zeit später haben wir dann als erste Deutschlehrer die ehrenamtlichen Verträge unterschrieben. Ein kleiner Vorgeschmack auf einen Papierkrieg, der noch ein verdammt langer und zäher werden sollte …

Wie habt ihr es geschafft, euch in einem solch kurzen Zeitraum dermaßen gut zu organisieren?
Es war wirklich unfassbar. Nach dem ersten Treffen hatten sich bereits 80 Lehrer gefunden, die ehrenamtlich unterrichten wollten. Einen Tag später habe ich meine Freundin Annabell, die in Heidelberg Deutsch für Asylbewerber unterrichtet, angerufen. »Welches Buch sollen wir denn nehmen?« »Thannhauser«. Das war die knappe Auskunft, die ich von dem Tag an Freiwilligen, Sponsoren, Unternehmen, Agenturen und Marketingleitern weitergab. In den folgenden Tagen habe ich dann mehrere Meetings und Lehrertreffen einberufen. Wie auch die anderen Gruppenleiter – es haben sich im Rahmen des Refugees Welcome Treffens über 12 Arbeitsgemeinschaften rund um Bildung, Sport, Gesundheit, Spiel und Kommunikation gebildet – haben ich versucht, Strukturen aufzubauen. Schnell wurde klar, dass Delegation und das Setzen von Prioritäten zu meinen neuen besten Freunden werden mussten. Nach dem zweiten Treffen hatte sich eine phänomenale Stundenplan-AG gebildet – bestehend aus Teams, die zu jeder Woche anhand des Doodels, den ich angelegt hatte, einen Stundenplan für die Lehrerteams geschrieben hat. Dann gab es später noch das Orgateam, das sich nur um die Lehrerkoordination gekümmert hat und eine eigene Unterrichtsmaterialien-AG, die sich um die Lehrmaterialien gekümmert hat. Diese hat eng mit der Spenden-AG für Unterrichtsmaterial zusammengearbeitet. Zum Schluss hatten wir neun Unter-AGS in unserer Deutsch-AG. Ein riesiges Konstrukt, aber unsere Umschlagzahl an Unterrichtsstunden war ebenso beeindruckend. Ich bin sehr stolz auf das, was wir als Freiwillige geleistet haben.

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Ich habe mich gefühlt wie bei Asterix und Obelix in der Folge »Auf der Suche nach Formular A315« 

Auf welche Widerstände bist du im Laufe der ehrenamtlichen Arbeit gestoßen und wie verlief die Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg?
Nach den ersten Veranstaltungen von »Refugees Welcome« habe ich auch an der Versammlung der Stadt Hamburg teilgenommen, in dieser haben die Städtischen Beauftragten mit der Öffentlichkeit diskutiert. Bei dieser Veranstaltung habe ich in einem Redebeitrag drauf aufmerksam gemacht, dass es wichtig ist, die bürokratischen Vorgänge so einfach wie möglich zu gestalten, so dass nicht weiterhin die Arbeit von Freiwilligen behindert wird. Tatsächlich war dies meiner Ansicht nach das aggressivste Problem, dass wir neben in unserer Freiwilligenarbeit bewältigen mussten. Wir haben durch die erste Veranstaltung 75 Lehrer akquiriert, durften aber nach Verhandlung vorerst nur 25 als ehrenamtliche Mitarbeiter bei F&W anmelden. Schließlich gab es Kommunikationsprobleme zwischen dem von der Stadt Hamburg beauftragen Unternehmen F&W und uns als Freiwillige. Zwischenzeitlich habe ich mich wie bei Asterix und Obelix in der Folge »Auf der Suche nach Formular A315« gefühlt. Wer sich nicht an die Szene erinnert: Asterix rennt bis zum Delirium von einer Abteilung zur nächsten, auf der Suche nach dem Richtigen Passierschein um seine Heldentaten fortzusetzen. Bei uns ging es dann jedoch weniger um Heldentaten als um Helfer-Taten. Nach dem Motto »einfach machen«, habe ich es mir erlaubt, die 25 Verträge, die wir hatten, zu kopieren und unsere 75 Lehrer damit zu versehen. Ganz unbürokratisch…

Wie haben die vielen freiwilligen Helfer und die Flüchtlinge auf die plötzliche Umverteilung in andere Stadtteile und in andere Bundesländer reagiert?
Es war ein riesiges Chaos, denn die meisten Flüchtlinge wussten nicht, wohin sie gebracht wurden oder wann. Es gab Datumsstempel und Zahlen, anhand derer die Flüchtlinge umverteilt wurden. Jedoch musste man zum Zeitpunkt der Abholung in der Halle sein. Aber wie soll das gehen, wenn man nicht Bescheid weiß, zu welcher Tageszeit es los geht? Viele Lehrer haben, wieder ganz unbürokratisch, kurzerhand einige der Flüchtlinge persönlich in Privatautos zu den neuen Unterkünften gebracht.

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Welchen Ratschlag würdest du anderen freiwilligen Helfern mit an die Hand geben?
Sich nicht abwimmeln zu lassen. Es kam mir zeitweise wirklich so vor, als wollte man unsere Hilfe nicht annehmen, letztendlich zeigt aber beispielsweise die Ausfallquote der F&W-Mitarbeiter, die mit Ermüdung und Überforderung zu kämpfen haben, dass die Hilfe von Freiwillen dringend nötig ist, um die Masse an Aufgaben zu bewältigen. Neue Strukturen sind vorerst nur kleine Trampelpfade, durch Eingewöhnung können auf die Weise jedoch schnell wachsende Unternehmungen gut vernetzt werden.

Welchen Ratschlag würdest du dem Hamburger Senat (und evtl. auch anderen Städten) mit auf den Weg geben wollen?
Ohne die Mithilfe der freiwilligen Bevölkerung muss sich eine Stadt auf große Investments gefasst machen. Freiwillige Arbeitskraft ist ein enormes Geschenk – der Enthusiasmus, mit dem sich freiwillige Helfer betätigen, sollte nicht durch bürokratische Vorgänge kompliziert werden. Durch einfache Strukturen sollte ein schneller Zugang zur Arbeit ermöglicht werden, ansonsten droht der Antrieb der Freiwilligen zu ersticken. Außerdem sollten die bestehenden Strukturen konserviert werden – es ist nicht nötig, das Rad stets neu zu erfinden. Und es ist wichtig, im Dialog mit Menschen zu bleiben, die solche Krisensituationen gemeistert haben. Häufig stehen diese gerne mit Rat zur Seite. Unsere AG wurde beispielsweise von mehreren Aufnahmestellen am Stadtrand um Hilfe gebeten – vornehmlich bzgl. Rat zur Strukturierung, den Umgang mit sowie der Verteilung von Spendengeldern oder kunterrichtsspezifische Fragen.

Gab es einen Zeitpunkt, an dem du an deine Grenzen  geraten bist?
Nach etwa zweieinhalb Monaten, als die Anzahl der Helfer die 600 überstiegen hat. Wir hatten mehrere Facebook-Gruppen eingerichtet, um den Unterricht zu planen und alle mit Informationen zu den einzelnen Meetings zu versorgen. Irgendwann, als unser Email-Postfach pro Tag 25 neue Helfer akquirierte, mein Handy einfach nicht mehr aufgehört hat zu klingeln und ich seit zwei Monaten meine Arbeit niedergelegt hatte, bin ich emotional am Ende gewesen und krank geworden. Trotzdem habe ich weiterhin die Emails und Anfragen vom Bett aus beantwortet. Eines Morgens bin ich aufgewacht, habe in meinen leeren Kühlschrank geschaut und mir gesagt, dass es nicht so weiter gehen kann und ich mich auch wieder um mich und mein Leben und meine eigentliche Arbeit, das Fotografieren, kümmern muss.

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Flüchtlinge sind keine Accessoires

Was war die wichtigste Erfahrung in diesen zweieinhalb Monaten?
Dass es nur zusammen funktionieren kann. Letztendlich war – wie in jeder Krise – ein schnelles Management gefragt und ich war (und bin es noch immer) beeindruckt von der allgemeinen Hilfsbereitschaft der Bevölkerung unseres Landes. Ein anderer Gesichtspunkt hat mich als Fotografin beschäftigt. Ich finde: Flüchtlinge sind keine Accessoires. Dieser Satz stammt nicht von mir, spiegelt meinen Standpunkt jedoch ziemlich genau wieder. Natürlich ist es wichtig, Zeitgeschehen zu dokumentieren. Ich bewundere Fotografen und Journalisten, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um aus Krisenregionen zu berichten. Nun findet die Krise direkt vor unserer Haustür statt. Im Gegensatz zu anderen Kollegen, die beispielsweise die Willkommens-Feste dokumentiert haben, habe ich kein einziges professionelles Foto von Flüchtlingen gemacht. Was aus meiner Sicht falsch daran ist? Die Vermarktung der Bilder. Natürlich ist es wichtig, Artikel mit Bildmaterial zu versehen, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass ordentlich Reibach mit den Fotos von glücklichen Flüchtlingskindern oder dramatischen Umsiedelungsaktionen gemacht wurde. Ich wollte mich nicht daran beteiligen, einen persönlichen Vorteil aus dem Leid oder temporären Glück schutzbedürftiger Menschen zu ziehen.

Last but not least: Wie stehst du zu Frau Merkels viel zitierter und ebenso häufig und heftig kritisierter »Wir schaffen das«-Parole?
Das wichtigste an dieser Parole ist das »Wir«.

 

Fotos: Katharina Oppertshäuser

 

Und hier geht’s zum Artikel Wie viel Freiheit verträgt die Meinung? aus unserer neuen Reihe PEP THINK.