Warum werfen wir so viele Lebensmittel in den Müll?

Eco Lifestyle, Bewusster Konsum: Warum werfen wir so viele Lebensmittel in den Müll? – leev Apfelsaft

Da stehe ich nun. Die Woche war zu stressig, der Hunger beim Einkauf letzte Woche viel zu groß und der Kühlschrank immer noch zu voll. Und während ich den Deckel meines Bio-Joghurts im Glas öffnen will, bemerke ich: Abgelaufen! 7 Tage drüber. »Nein Lara, tu es nicht, du könntest dich vergiften. Abgelaufenes Essen, ist ja ekelig«, beschwert sich meine hypervorsichtige Stimme im Kopf. »Lara, schnuppere doch erst Mal dran. Riecht doch ganz normal. Kein Schimmel drauf, also ab in den Mund damit«, schlägt mir mein grünes Herz vor. Ich probiere – und esse das ganze Glas. Ich sitze hier, schreibe diesen Artikel, lebe und bin gesund wie ein junger Schmetterling. Weil viele unserer Mitmenschen aber nicht auf ihr grünes Herz und ihre Sinne hören, landen pro Jahr durchschnittlich 81 kg Lebensmittel pro Kopf(!) im Müll. Vieles davon hätte jedoch noch bedenkenlos verzehrt werden können.

Warum also ein Mindesthaltbarkeitsdatum, wenn die Lebensmittel doch noch gut sind? Und warum so schnell der Weg in die Tonne?

Das Mindesthaltbarkeitsdatum (kurz MHD) gibt nur an, bis zu welchem Zeitpunkt ein Lebensmittel bei sachgerechter Aufbewahrung ohne wesentliche Veränderungen von Geschmack oder Qualität und ohne gesundheitliche Risiken konsumiert werden kann. Hier darf gerne mitgeschrieben werden: Zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum und Verbrauchsdatum liegt ein himmelweiter Unterschied. Fleisch, Fisch und einige Milchprodukte sind mit dem Verbrauchsdatum deutlich gekennzeichnet, da sie schneller verderben können und dann auch wirklich nicht mehr gegessen werden sollten. Nicht so aber die Sache mit dem MHD. Dennoch wirft jeder zwanzigste Deutsche Lebensmittel gleich nach Ablauf des MHD in den Müll. Bei Jugendlichen sogar jeder zehnte. Ist das wirklich notwendig?

 

Ich habe mich zu dem Thema mit meiner liebsten Freundin Natalie im Entenwerder 1 getroffen. Natalie Richter ist Gründerin und Inhaberin der Apfelsaftmarke leev. Leev produziert regional mit Äpfeln aus dem Umland Hamburgs und unterstützt mit jeder Flasche Saft und Schorle heimische Bienenvölker. Gemeinsam mit foodsharing e.V. hat leev das Experiment »Alte Liebe« gestartet, bei dem sie 300 tipp-topp gefüllte Apfelsaft-Flaschen an Hamburger verschenkt haben.
Einziges Manko: Der Apfelsaft hatte das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten. Und war deutlich mit einem Sticker markiert. »Ich bin abgelaufen, aber immer noch super lecker!«, klebte auf jeder einzelnen Flasche. Alle, die den »Verschenke-Stand« an Apfelsaft passierten, hatten also die Wahl, ob sie den Apfelsaft noch konsumieren wollten oder nicht. Das Ergebnis: Binnen vier Stunden waren alle 300 Flaschen vergriffen. 1425 Menschen haben den »Verschenke-Stand« besucht. Rund 110 Leute haben nach dem ersten Griff zur Flasche vorsichtshalber lieber auf den Schluck (immer noch köstlichen) Apfelsaft verzichtet.

Natalie, was hat dich dazu bewegt, diese Aktion zu starten und Menschen direkt mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum zu konfrontieren?
Da muss ich ein bisschen ausholen. Alles hat damit angefangen, dass wir neue Etiketten für unsere Säfte entwickelt haben. Die Nachfrage danach war hoch und wir haben die »alten« Flaschen schnell aus dem Sortiment genommen. Vor lauter Hin & Her sind dabei einige Flaschen abgelaufen. Als ich so im Lager stand, vor all den Säften, die laut MHD abgelaufen waren, bin ich richtig traurig geworden. Ich hätte sie wegschütten müssen. Ich wollte das einfach nicht! Im Handel ist es schwer, abgelaufene Ware zu platzieren. Die Produkte dürfen, sofern sich der Verkäufer überzeugt hat, dass die Ware in Ordnung ist, eigentlich noch verkauft werden. Aber das macht kaum jemand. Unsere Säfte werden bei 70 bis 80 Grad erhitzt und dadurch in der Flasche vakuumiert. Das macht sie haltbar. Ich habe einmal bei einer Inventur zusammen mit unserem Moster Joachim einen Saft gefunden, der über zwei Jahre alt war. Die Farbe war etwas blass, aber wir beide haben probiert und siehe da: Er hat noch super lecker geschmeckt! So kam mir die Idee, dass wir die Flaschen verschenken könnten. Und die Menschen eventuell in ihrer Wegwerfgesellschaft damit ein wenig wachrütteln.

Und wie ist dann »Alte Liebe« daraus geworden?
In Kooperation mit foodsharing e.V. haben wir die Aktion gestartet. Florian von foodsharing hat uns einiges zu dem Thema beigebracht. Zum Beispiel, dass wir auf unsere Sinne vertrauen können. Der Körper ist sehr gut darauf geschult, schlechte Nahrung zu erkennen und sich so selbst zu schützen. Riechen, betrachten, vorsichtig kosten. Wir modernen Verbraucher haben dieses Urvertrauen aber leider oft verloren. Wir wollten unbedingt ausprobieren, was die Hamburger dazu sagen, wenn sie direkt mit abgelaufenen Lebensmitteln konfrontiert werden.

Wie lief die Aktion genau ab?
Wir haben unseren »Verschenke-Stand« ganz prominent an der Alster aufgebaut. Hier gibt es jeden Tag tausende Jogger, Spaziergänger und Radfahrer. Ein großes Schild »Zu verschenken« hat auf unsere Säfte aufmerksam gemacht. Wir haben uns dann zurückgezogen, ein bisschen verstecktes Mäuschen gespielt und die Passanten, die nach unserem Saft gegriffen haben, danach angesprochen und interviewt.

Und wie waren die Reaktionen?
Von angewiderten Zurückbringern bis hin zu erfrischten Joggern und freudestrahlenden Kindern. Ich war sehr überrascht. Die Flaschen waren relativ schnell vergriffen und die Gespräche mit den Menschen sehr schön und produktiv. Viele waren sich bewusst, dass das MHD »irgendwie ein komisches Datum ist«. Trotzdem wird in Deutschland immer noch mehr Essen weggeworfen, als notwendig. Das Thema und unser Verhalten ist also noch ausbaufähig. Ich selbst habe seitdem mein Konsumverhalten stark verändert. Was ich vor einigen Jahren noch beherzt in die Tonne gehauen hätte, landet heute zum Beispiel wieder auf dem Brot und in meinem Bauch.

Das klingt toll! Was tust du noch, um Lebensmittel so nachhaltig wie möglich zu verbrauchen?
Ich bekomme jede Woche eine grüne Kiste von einem Hof aus der Nähe von Hamburg geliefert. Da sind meine Basics an Gemüse, Käse, Brot und Milch drin. Wenn ich etwas bestimmtes kochen will, dann kaufe ich die Dinge on top. Aber immer nur so viel, wie ich selbst verbrauchen kann. Bleibt etwas übrig, teile ich es immer mit meinen Mitbewohnern oder koche etwas mehr und friere es ein. Wenn ich essen gehe, versuche ich auch regional zu konsumieren, insbesondere was Fleisch angeht. Zuhause bereite ich mir eigentlich fast kein Fleisch zu.

Was wünschst du dir in Sachen Konsumverhalten und Mindesthaltbarkeitsdatum?
Ganz einfach: Probieren geht über Studieren! Das klingt platt, umfasst aber alles, was den Fluch des MHD aufheben kann. Sich vertrauen und auf sein Bauchgefühl hören. Wenn man partout abgelaufenes Essen oder Getränke nicht verzehren mag, was auch total okay ist, dann die Lebensmittel lieber spenden und teilen. Zum Beispiel mit foodsharing. Das ist wesentlich besser, als sie wegzuwerfen.

 

Du willst auch bei der »Alten Liebe« Mäuschen zu spielen? Hier geht’s zum Film: youtube.com

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Und weil’s so spannend & einfach gut ist, ein kurzer Blick auf foodsharing e.V.

Mit foodsharing wird man Teil einer Community. Online kann man sich anmelden, essen teilen und eine Art digitalen Einkaufskorb anlegen. Entweder man holt essen ab oder stellt es selbst ein. In sogenannten »Fair-Teilern«, welche öffentlich zugängliche Kühlschränke oder Regale sind, kann man jederzeit essen vorbeibringen oder mitnehmen. Jeder so viel er möchte. So hat foodsharing gemeinsam mit allen Helfern bereits 8.101.909 kg Lebensmittel in Deutschland gerettet. Die Plattform tut so viel Gutes. Ein Blick lohnt sich! Mehr unter foodsharing.de.

Zusammen können wir die Welt ein bisschen leckerer & besser machen. Auf alle guten Lebensmittel und die Freude daran!

Fotos: Roman Dachsel, Manuel Dingemann

Und hier geht es zu zwei weiteren spannenden Artikeln, ebenfalls von Lara geschrieben: Coffee to go – gibt’s auch in nachhaltig! und Zero Waste Kaffee – nachhaltige Coffee to go Becher.