Safia Minney im Interview – Slave to Fashion

Fair Fashion, Slow Fashion: Safia Minney im Interview – Slave to Fashion – Berlin Fashion Week, Greenshowroom, Ethical Fashion Show

Wir haben mit Safia Minney, Gründerin des Fair Trade Fashion Labels People Tree*, über ihr Buch »Slave to Fashion« auf der Berlin Fashion Week 2017 gesprochen, das sie dort im Rahmen des Greenshowrooms und der Ethical Fashion Show vorgestellt hat.

Safia Minney ist eine zwar eine zierliche Erscheinung aber – das wird auf den ersten Blick klar – eine absolute Vordenkerin und resolute Kämpfernatur. Das trifft im besonderen Maße zu, wenn es um nachhaltige und faire Mode geht. Die Gründerin des Fair Trade Fashion Labels People Tree setzt sich seit mit ihrem Label sowie mit zahlreichen Projekten und Initiativen unermüdlich für eine faire und transparente Fashion Industrie ein. Auf der diesjährigen Berlin Fashion Week wurde sie im Rahmen des Green Showroom und der Ethical Fashion Show eingeladen, um ihr jüngstes Buchprojekt Slave to Fashion vorstellen. Mithilfe der knapp 40.000 Pfund, die sie im Vorfeld via Kickstarter für das Buchprojekt generieren konnte, konnten Safia und ihrem Team mit ihren umfangreichen und investigativen (Undercover)-Recherchen beginnen – herausgekommen ist eine messerscharfe Analyse, die leider kein gutes Haar an unserer derzeitigen Textilindustrie lässt. Im Gegenteil, Slave to Fashion ist ein weiterer Weckruf, der deutlich macht – wir alle müssen unser Konsumverhalten radikal ändern, wenn wir nicht sehenden Auges in eine Katastrophe schlittern wollen. Das Buch wirft einen schonungslosen Blick hinter die schillernde und glamouröse Fassade der von Geldgier und Preisdumping getriebenen Modewelt. Slave to Fashion gibt den über 35 Millionen (!) ausgebeuteten weltweiten Arbeitern und Arbeiterinnen ein Gesicht und vor allem eine Stimme. Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes Sklavenarbeit verrichten. Wozu? Damit wir uns immer dann, wenn uns gerade mal wieder danach ist, eine Bluse für 4,95 Euro kaufen können. Eine Bluse, die wir unter Umständen niemals tragen werden. Weil sie uns »irgendwie doch nicht steht«. But who cares?! Safia Minney, zum Glück! Zum Glück für die vielen ausgebeuteten Arbeiter und auch für uns. Denn nichts steht uns so gut wie Kleidung, die fair produziert wurde. Bis das auch wirklich der allerletzte von uns kapiert hat, liegt allerdings noch ein gutes Stück Aufklärungsarbeit vor uns…

 

Safia, nach deinen erfolgreichen Büchern »Naked Fashion« und »Slow Fashion« ist gerade eben dein jüngstes Buch »Slave to Fashion« erschienen. Welche neuen Einblicke in die Modebranche konntest du dank deiner intensiven Recherchen erlangen? Was waren für dich die schockierendsten Erkenntnisse?
Wir haben ein weltweites Wirtschaftssystem, in dem über 35 Millionen Menschen in Zwangsarbeit beschäftigt sind. Es ist ein System, dass die Rechte der Arbeiter komplett ignoriert. Für Slave to Fashion bin unter anderem nach Indien, Bangladesch und Kambodscha gereist und habe mich dort nicht nur mit Arbeitern, sondern auch mit Experten und Anwälten getroffen. Es ging mir sowohl darum, den ausgebeuteten Arbeitern und Arbeiterinnen ein Gesicht zu geben und ihre Geschichten zu erzählen, als auch darum, nach Lösungen zu suchen. So habe ich auch mit Technologieunternehmen gesprochen, die beispielsweise Tools entwickeln, die es den Arbeitern ermöglichen, auf anonyme Weise auf Missstände (wie ausstehende Löhne, Bestrafungen oder Kinderarbeit) innerhalb der Textilunternehmen, für die sie arbeiten, aufmerksam zu machen – ohne der Gefahr von drakonischen Strafen ausgesetzt zu sein. Auch wenn es sich dabei natürlich um eine längst bekannte Tatsache handelt, war es erschreckend vor Ort festzustellen, wie sehr die Regierungen von finanziellen Firmeninteressen geleitet werden und fest in der Hand von Multikonzernen sind…

…die Menschenrechte mit Füßen treten. Wie lässt sich moderne Sklaverei verhindern?
Ein wichtiger Meilenstein bei uns in Großbritannien war die Verabschiedung des UK Modern Slavery Act, der 2015 verabschiedet wurde. Dank ihm konnten wir von Großunternehmen plötzlich »Modern Slavery Reports« einfordern, um zu überprüfen, inwiefern sie aktiv gegen Zwangsarbeit vorgehen. Diese Berichte werden veröffentlicht, damit werden die Unternehmen zur Transparenz gezwungen und ich hoffe sehr, dass sich das Gleiche sich auch in Deutschland durchsetzen wird. Insgesamt müssen wir alle mehr Ansprüche stellen – als Konsumenten als Geschäftspartner und Weltbürger.

»Wir sollten dringend mehr Forderungen stellen und die Unternehmen mit kritischen Fragen konfrontieren«

Was können (oder sollten) Konsumenten gezielt tun?
Konsumenten sollten auf jeden Fall Ausschau halten nach Eco Pioniermarken. Und sie sollten die Fast Fashion Labels, die sie gerne tragen, mit kritischen Fragen konfrontieren und diese Unternehmen zum Beispiel fragen, was sie tun, um Sklaverei in ihrer Lieferkette zu vermeiden. In UK geben 77% der Senior Manager solcher Unternehmen zu, dass sie nicht garantieren können, dass es keinerlei Sklaverei innerhalb ihrer Lieferkette gibt. Und ich bin mir sicher, dass das Gleiche für Unternehmen in Deutschland gilt…

Was können und sollten die Unternehmen tun?
Unternehmen müssen sich mit ihrer Lieferkette vertraut machen. Wir haben viele Initiativen, die die Unternehmen dabei unterstützen. Wie die Ethical Trading Initiative und die Fair Trade Bewegung. Wir müssen das Rad also nicht neu erfinden. Denn die Strukturen für ein Umdenken sind bereits vorhanden. Wir müssen stattdessen viel mehr Forderungen stellen und den Unternehmen wesentlich mehr Verantwortung abverlangen. Modekonzerne geben unglaublich viel Geld für Markenbildung, also für Werbung und Marketing aus, so dass es absolut keine Entschuldigung geben kann, wenn es um das Übernehmen sozialer Verantwortung geht. Von wegen »Oh, das ist wahnsinnig kompliziert, herauszufinden, ob Kinderarbeiter in unserer Lieferkette involviert sind.« Oder »Wir können es uns aufgrund des Wettbewerbs leider nicht leisten, ein Minimum an höheren Löhnen zu zahlen«. Wir dürfen solch ein asoziales Unternehmertum einfach nicht länger akzeptieren und tolerieren!

Was sollte die Politik tun?
Politiker müssen ebenfalls aufwachen, denn inzwischen gibt es zahlreiche progressive Unternehmen und Firmenchefs – und ich rede hier von Big Playern –also milliardenschweren Konzernen, die durchaus gewillt sind, soziale Verantwortung zu übernehmen und Unternehmen aufzubauen, deren Firmenphilosophie auf ethischen Werten fußt und Menschenrechte mit einbezieht. Denn diese Firmenchefs möchten abends ruhigen Gewissens nach Hause zu ihren Familien kommen und nachts gut schlafen. Viele Menschen und Unternehmer sind das aktuelle Hamsterrad-System leid, in dem es nur darum geht, in kürzester Zeit immer größere Gewinne zu erzielen – ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt. Deshalb muss die Politik dringend weltweit die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen, die die Arbeiter in den Lieferketten vor Sklaverei schützen.

»Alle aus der Modebranche – von Anna Wintour bis Tom Ford – haben The True Cost gesehen. Der Film hat die Öffentlichkeit wachgerüttelt«

Safia, du hast prominente Freunde, Unterstützer und Schwestern im Geiste wie Emma Watson, Livia Firth und Vivienne Westwood. Warum nutzen nicht mehr mehr Menschen (und speziell Frauen) ihre Prominenz, um auf die Missstände in der Modebranche aufmerksam zu machen?
Nach meinem Empfinden und meiner Erfahrung (wir kleiden viele Prominente für den Roten Teppich ein) findet derzeit ein Umdenken statt. Doch leider handelt es sich dabei um einen Prozess, der viel Zeit benötigt… Zum Glück hat die Dokumentation The True Cost die Öffentlichkeit wachgerüttelt und für das Thema Fair Fashion sensibilisiert. Alle aus der Modebranche, von Anna Wintour bis Tom Ford, haben diesen Film gesehen. Die grauenvollen Machenschaften der Modeindustrie waren plötzlich in aller Munde. Deshalb bin ich sehr gespannt auf die Entwicklung der kommenden fünf Jahre. Ich glaube, wir werden mehr Prominente und Influencer erleben, die wirklich praktizieren, was sie predigen. Zumindest wünsche ich mir das. Bloß auf seiner Yogamatte zu sitzen und sich vegan zu ernähren, während weltweit Kinder ausgebeutet werden, das hat schon etwas sehr Ironisches… Aber wir erleben derzeit einen großen Paradigmenwechsel, der überall zu spüren ist – in Gestalt neuer Wirtschaftssysteme, Initiativen, die sich für soziale Gerechtigkeit stark machen und ökologisch verantwortungsvollem Handeln. Als ich People Tree vor 25 Jahren in Japan ins Leben gerufen habe, hätte ich im Traum nicht damit gerechnet, dass wir heute solch eine große und weltweite Eco Modebewegung haben würden. Ich bin extrem erfreut und stolz auf das, was sich seitdem getan hat. Fair Fashion wird mehr und mehr Mainstream. Aber du hast Recht, wir brauchen noch wesentlich mehr einflussreiche Botschafter und Advokaten, die ihr Geld, ihre Macht und ihre Intelligenz einsetzen, um die Bewegung voranzutreiben.

Eine schwierige Frage, ich weiß, aber wie viele öko- und sozial fair produzierte Kleidungsstücke sind mit einem guten Gewissen vereinbar? Wie viele Käufe im Monat/im Jahr sind ok?
Aufgrund meines Jobs habe ich einen beschämend großen Kleiderschrank, der randvoll mit nachhaltiger Kleidung ist und auch mit zahlreichen ausgefallenen Vintage-Teilen und Textilien von Handwerkskünstlern aus aller Welt – mein Schrank ist für mich wie ein kulturelles Archiv, ich kenne die Namen und Geschichten hinter den Kleidungsstücken. Aber ich glaube, es ist durchaus möglich, im Jahr nur fünf oder zehn Kleidungsstücke zu kaufen. Das kann vollkommen ausreichend sein. Vor allem, wenn man seinen Stil gefunden hat. Ich bin Fan von Leih-Initiativen, also dem Prinzip, sich Kleider für bestimmte Anlässe zu leihen und diese dann wieder zurückzugeben. Außerdem veranstalten wir in London viele Tauschpartys mit Freunden. Meine Tochter geht gerne in Chartiy- Shops und kauft dort für 20 Euro zwei oder drei komplette Vintage-Outfits. Damit kommt sie dann durch die gesamte Saison. Und der Witz ist, dass sie darin viel origineller und stylischer aussieht, als in Fast Fashion.

 

Fotos: Katharina Oppertshäuser

 

Und hier geht’s zu unserem Fair Fashion Shooting, das wir im Rahmen der Berlin Fashion Week geshootet haben: Sara Nuru – Unsere Favorite Fair Fashion Week Looks!

 

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