Lucie Beyer – Achtsamkeit ist eine ziemlich feine Sache!

Eco Lifestyle, Yoga: Lucie Beyer – Achtsamkeit ist eine ziemlich feine Sache!

Achtsamkeit ist eine ziemlich feine Sache! Die Berliner Yoga- und AcroYoga-Lehrerin Lucie Beyer erklärt, warum Achtsamkeit so wichtig und gut für uns (und unsere Mitmenschen) ist und wie wir lernen können, achtsamer mit uns selbst und anderen umzugehen.

Es passt super, dass ich mit dem Plan, diesen Artikel im Flugzeug auf dem Weg nach Amsterdam fertig zu schreiben, in ein kleines Chaos gerate. Am Flughafen hat’s gebrannt (die Currywurstbude war Schuld). Zum Glück ist Niemandem etwas passiert und es waren Bio-Currywürste…. Immerhin! Dennoch sorgt so ein Vorfall natürlich für Chaos, und zwar big time.
Und gleichzeitig bietet er die beste Gelegenheit, um Achtsamkeit zu üben: Mamas mit weinenden Kids vorlassen, alten Menschen den Vortritt gewähren oder ihre Tasche halten, während sie nach ihrem Pass suchen, so viel wie möglich lächeln, weil eh die meisten grummelig sind. Und plötzlich erlebe ich das Geschehen als schöne Erfahrung. Ich werde selbst angelächelt und als ich beim Security Check stehe, strahlt mich dort ein älterer Mann an und sagt: »Na, an ihr freundliches Gesicht erinnere ich mich noch von der Gepäckabgabe eben!« Hut ab, denn es waren sicher 400 Menschen, die bis draußen auf der Straße gestanden und um ihre Flüge gebangt hatten. Alles eine Frage des Mindsets. Ein wenig Chaos hier und da ist nicht vermeidbar und sich in solchen Momenten zu fragen, »Wer hat Schuld?« macht doch keinen Sinn. Es liegt also an uns, wie wir damit umgehen. Meditation in Aktion. Oooooooommm!

Wenn man das Buch »Achtsame Kommunikation« von Thich Nhat Hanh öffnet, findet man zu Beginn ein Kapitel über »Nahrung«. Er spricht hier von allem über das, was wir in uns aufnehmen, beziehungsweise konsumieren. Und damit meint er keine Nahrung im herkömmlichen Sinn. Wie können wir zum Beispiel entspannt und herzlich reagieren in so einer Situation wie am Flughafen, wenn wir den ganzen Tag vorm Rechner saßen, unser Kreuz schmerzt und wir drei unerledigte Deadlines im Kopf haben? Achtsamkeit braucht Übung, ein stabiles Fundament und fängt mit dem an, was wir in uns aufnehmen.


Zu viel Konsum macht krank

Als ich mit meinem Vater neulich auf einer viertägigen Fahrradtour unterwegs war, sahen wir unglaublich viele Rapsfelder. Zu Beginn genossen wir das nicht enden wollende kräftige Gelb und sogen den Duft der Blüten auf. Nach dem zehnten riesigen Feld jedoch wurden wir dem langsam überdrüssig. Der Geruch wirkte plötzlich zu stark, das Gelb schien fast schon aggressiv und wir hatten sogar leichte Schwierigkeiten zu atmen. Auch hatte ich nicht das Gefühl, dass es der Natur drum herum wirklich gut tat. So weit man blickte, nur Raps! 
Eine ganz klare Monokultur, die (der umliegenden Natur) mehr nimmt, als dass sie gibt.
Warum kreieren wir Menschen immer wieder ein »Zuviel« und denken nur daran, was wir bekommen können, anstatt an das, was wir geben können? Wir vergessen das große Ganze und was für eine Welt wir der Folgegeneration hinterlassen werden. Wir sind verbunden mit allen Wesen, die auf dieser Erde leben. Und wir Menschen sind schon so viele Tausende Jahre hier. Wir könnten und sollten es langsam einmal verstehen.

Man mag meinen, dass wir glücklich sind in einem Land, in dem wir alles haben. Doch Studien belegen, dass allein in Deutschland 4,1 Millionen Menschen an Depressionen leiden. Das sind einige, meint Ihr nicht? Meine Theorie ist, dass wir zu viel haben. Es ist einfach nicht im Gleichgewicht, vor allem nicht mit dem Rest dieser Erde, mit anderen Ländern, in denen die Menschen eindeutig nicht genug haben, um zu überleben. Weniger ist für uns Deutsche also oft mehr. Das fängt beim Essen an und hört bei den materiellen Gütern auf. Denn: Ein Zuviel macht genauso krank wie ein Zuwenig. Einfachheit lautet das neue Credo und verdammt sexy, wenn ihr mich fragt.

AchtsamkeitPräsenz ist ein Geschenk

Achtsamkeit fängt in der Beziehung zu uns selbst an, Stichwort Selbstliebe, strahlt dann ab an die Menschen um uns herum und beeinflusst letztlich unsere Beziehung zur gesamten Umwelt und der Welt an sich. Wenn wir von Achtsamkeit in Beziehungen reden geht es immer wieder auch um die Balance zwischen Öffnung und Rückzug. Wie viel Zeit kann ich überhaupt mit anderen Menschen verbringen, damit meine Präsenz noch qualitativ hochwertig bleibt? Wie viel Zeit brauche ich für mich? Oder ziehe ich mich vielleicht sogar zu viel zurück, bin viel allein und könnte gut etwas mehr »in Beziehung« zu anderen sein?
Eine meiner Freundinnen hat Geburtstag und ich möchte ihr gerne etwas schenken. Doch was? Meine wertvollsten Güter, die ich mit einem Menschen teilen kann, sind meine Zeit und Präsenz – das kann man nirgendwo kaufen!

Zuhören ist eine Kunst – und damit muss man bei sich selbst beginnen

Der wichtigste Aspekt von Präsenz mit meinen Mitmenschen drückt sich im Zuhören aus. Natürlich muss das Ganze bei uns selbst starten. Wie kann ich erwarten, dass andere mir zuhören, wenn ich mir selbst nicht zuhören kann?
Ich kann so viele Antworten erhalten, wenn ich ganz still (in der Meditation) sitze, einfach atme und nach innen lausche. Angewandt auf ein Gegenüber gleicht das achtsame Zuhören schon beinahe einer Kunst. Das will geübt sein! Kein Analysieren, keine Antworten im Kopf zurechtlegen, kein Bewerten, kein Unterbrechen, keine Ratschläge…. Sind mein Gesichtsausdruck und meine Körperhaltung wirklich aufnehmend? Oder habe ich mich in Wirklichkeit schon verschlossen und auf Durchzug geschaltet? Ein wahrer Zuhörer ist manchmal besser als jeder Therapeut und teilweise genau das richtige Mittel, um die schwierige Situation eines Freundes komplett zu transformieren. Aufmerksamkeit und Empathie gibt’s aber leider auch nicht im Laden zu kaufen…
Wenn wir selbst die ganze Zeit nur reden und das teilen, was wir bereits wissen, lernen wir nichts Neues. Lernen und erkennen können wir am besten, wenn wir zuhören und still sind.

Mindful Body – wir können lernen uns berührbar zu machen

Bewegung, Stille, Atmen, Nahrung… Es geht immer wieder um die Balance. Wir haben nur diesen einen Körper, dieses eine Zuhause. Wie gehen wir damit um? Achtsam oder stopfen wir alles in uns hinein, was uns gerade in die Hände fällt? Wie lange sitzen wir vor unseren Computern mit hängenden Schultern?
Unsere Wohnung lüften wir doch auch regelmäßig. Stellen Blumen auf den Tisch, wischen Staub und hängen schöne Bilder auf. Wenn wir unachtsam mit unserem Körper umgehen, fühlen wir uns schnell eher wie in einem Gefängnis, als in einem Tempel. Eine schöne Antwort auf dieses Gefühl kann beispielsweise eine achtsame Berührung sein – »the sacred touch«.
Es gibt einen Teil in unserem Gehirn, der verkümmert, wenn wir keine Berührungen austauschen. Und damit ist nicht primär Sex gemeint. Berührung ist ein Grundbedürfnis. Und dennoch haben wir keine Zeit, um den anderen zu massieren oder ihn zu halten. Sind zu stolz, um darum zu bitten, gehalten zu werden. Schlafen in getrennten Betten, weil wir Angst haben vor der Schönheit, gespürt zu werden und verletzlich zu sein.
Die gute Nachricht ist, dass wenn wir etwas verlernt oder nie gelernt haben, dann ist es nie zu spät, es neu zu lernen. Wir können lernen, uns berührbar zu machen und achtsam zu berühren. Wir können lernen, zu umarmen, wenn Worte nicht genug sind. 
Wenn man über den Mindful Body spricht, denke ich auch an »Liebe machen«. Und dann fällt mir so viel dazu ein, dass daraus wohl ein weiterer Artikel wird (stay tuned). 
Unsere Körper, unsere Tempel. Ich tanze den Wind, atme den Duft der Bäume. Bin ein wildes Feuer, verbrenne mich selbst immer wieder zu einem Haufen aus Asche. Fühle den Ozean in meinen Venen. Wir sind die Erde. So wie wir mit unseren Körpern umgehen, so behandeln wir auch unsere große Mutter. Wann hast du sie das letzte Mal berührt? Wann sie Sonne geschmeckt und deine nackten Füße auf ihrem grünen Teppich gespürt?

 

Achtsamkeits-Checkliste:

  • Wann bist Du das letzte Mal barfuß gelaufen? Es ist Sommer! Fühle die Erde unter Deinen Füssen.
  • Verschenke etwas Kleingeld einmal am Tag (wenn du in einer Großstadt wie Berlin lebst)

  • Hast Du Dich heute schon selbst angelächelt? Das rückt den ganzen Tag in ein positives Licht!
  • Mach mal Yoga 
  • Ein weiteres neues Outfit kaufen oder lieber etwas spenden? (Oder beides?)

  • Einen Baum umarmen? Yes!! Tut richtig gut und bringt in die Präsenz! Kleiner Tipp, am Anfang einfach nur anlehnen, dann fällt’s nicht so auf.

  • Nimm dir Zeit für einen Salat statt der Pizza

  • Wem kannst du heute sagen, dass du ihn liebst? Oder dass er/sie ein wundervoller Mensch ist?

  • Mal eine Woche ohne Zucker leben!10 Handyfreie Tage einlegen – einfach morgens zu Hause lassen. Ja, es ist möglich!
  • Jetzt bewusst atmen: Ich atme ein und bin mir bewusst, dass ich einatme. Ich atme aus und bin da.

 

Fotos: Pauline Willrodt Photography
Model: Jelena Lieberberg

Und hier geht’s zu einem weiteren tollen Artikel von Lucie Beyer: I love myself – Lucie Beyer über Selbstliebe.