Ikat/eCut Textilprojekt – Willst du mit mir nähen?

Produkte made in Südostasien – kann das mit fairen Dingen zugehen? Yes, it can! Unter anderem dank dem super spannendem Textilprojekt Ikat/eCut. Im Frühjahr diesen Jahres bin ich vom Goethe Institut Indonesien eingeladen worden, um eine gute Woche lang in Malaysia und Jakarta Designern aus Hamburg und Berlin dabei über die Schulter zu schauen, wie sie gemeinsam mit Textilproduzenten vor Ort ebenso schöne wie faire Produkte kreieren, die einen nachhaltigen Social Impact haben – vor allem für die Menschen vor Ort. Tipp: Die Geschichte findet ihr übrigens in gekürzter Form auch in der aktuellen Ausgabe des Neon Magazins (seit dem 10. Juli im Handel erhältlich)! 

Als ich Tanoti House, die Produktionsstätte von Tanoti Crafts im malaysischen Kuching zum ersten Mal betrete, erblicke ich etwa 20 junge, bestens gelaunte Frauen zwischen 18 und 25, die selbstsversunken und ausgelassen vor sich hinweben. In dem schlichten, blassgelb gestrichenen Raum stehen gut ein Dutzend alter Webstühle, an der Decke hängen Klimaanlagen und Ventilatoren, auf dem Boden liegen kreuz und quer verteilt Flip Flops. Es herrscht eine friedliche Atmosphäre, die sich augenblicklich auch auf den Besucher, also mich, überträgt. Einige der Mädchen haben Kopfhörer auf und trällern leise Popsongs vor sich hin. Manche von ihnen scheinen denselben Radiosender zu hören, denn sie summen synchron den gleichen englischen Refrain. Obwohl die Mädchen hochkonzentriert weben, wirkt ihre Tätigkeit wie ein Spiel und wie eine Tätigkeit, die sehr viel Freude bereitet. Hier entstehen unter anderem kostspielige Textilien für Königshäuser oder die Vatikanische Botschaft. Sündhaft teure Erzeugnisse, an denen die Weberinnen teilweise mehrere Monate weben. Direkt über den Arbeitsräumen befinden sich die Schlafräume. Die Mädchen wohnen und arbeiten hier unter einem Dach und fühlen sich sichtlich zu Hause. Weil sie wissen, dass heute »die Journalistin« zu Besuch ist und dass sie für ein europäisches Magazin fotografiert werden, haben sie zur Feier des Tages ihre lustigen Print T-Shirts gegen traditionelle, religiöse Gewänder eingetauscht und ihr sonst offenes Haar mit einem Schleier bedeckt.

Made by Humans: Nachhaltige Arbeitsbeziehungen auf Augenhöhe

Kuching liegt auf der malaysischen Insel Borneo und ist die Hauptstadt des Bundesstaates Sarawak. Die Region ist für seine traditionelle und unglaublich zeitaufwendigen Songket-Webtechnik bekannt, sowie für seine indigenen Volksgruppen wie beispielsweise die Penans, ein einstiges Nomadenvolk, das inzwischen weitestgehend sesshaft geworden ist, dessen Zuhause jedoch nach wie vor der Urwald ist. Die Penans sind unter anderem Meister in der Flechtkunst. Seit Generationen flechten sie kunstvolle Körbe, Taschen und Wohnaccessoires aus Rattan und verdingen auf diese Weise ihren bescheidenen Lebensunterhalt. Am Rande des Zentrums der etwa 600.000 Einwohner großen Stadt Kuching liegt die Textilproduktionsstätte Tanoti Crafts, die sich auf die Fertigung von Rattan- und Songket Produkten spezialisiert hat. Genau hierhin hatte es das Berliner Designer-Duo Anna Teuber und Franzi Kohlhoff von Teuber Kohlhoff im Rahmen der Ikat/eCut Textilprojektes verschlagen, bei dem die beiden gemeinsam mit sechs weiteren Designern teilnehmen durften. Ikat ist die Bezeichnung für ein traditionelles Gewebe, das seinen Ursprung in Asien hat und durch eine spezielle Färbetechnik ein bestimmtes Muster erhält – das Ikat-Muster. Bei eCut steht das »e« für Electronic und »Cut« für Schneiden, für Innovation also. Die Idee hinter dem Projekt: Was passiert, wenn Designer aus Deutschland mit südostasiatischen Textilproduzenten zusammentreffen? Und wie können sie mit- und voneinander lernen, marktfähige Produkte zu entwickeln, die sich sowohl in Europa als auch in Südostasien verkaufen lassen? Wie können sie traditionelles Kunsthandwerk geschickt mit innovativem Design verknüpfen und nachhaltige Arbeitsbeziehungen aufbauen? Ein Experiment, das, wenn es im Kleinen gelingt, Vorbild für den großen Textilmarkt sein könnte.

Statt sich im Ausland »inspirieren zu lassen«, was oft nichts anderes bedeutet, als Muster und handwerkliche Techniken möglichst billig zu kopieren, ermöglicht die Ikat/eCut Initiative einen gegenseitigen Ideen- und Erfahrungsaustausch und fördert faire, kreative und persönliche Arbeitsbeziehungen. Initiatoren dieses spannenden, praxisorientierten Projektes sind das Berliner Fair Trade Label Folkdays, die Nonprofit-Organisation für Design Education Be Able e.V. sowie das Goethe Institut Indonesien. Das Besondere: Die Copyright-Rechte an den gemeinsam entwickelten Produkten und Designs liegen bei den jeweiligen Produzenten vor Ort und nicht (wie meist üblich) bei den ausländischen Designern oder Unternehmen.

Beide Seiten müssen sich zunächst von alten Denkmustern befreien

Als Anna und Franzi zu Beginn ihrer dreiwöchigen Textilresidenz der Juniorweberin Minh zum ersten Mal ihre puristischen Design-Entwürfe vorlegen, die sich vor allem durch gerade Linien auszeichnen, spüren sie, dass die zierliche 20-jährige beinahe enttäuscht ist, dass sie so etwas Einfaches am Webstuhl umsetzen soll. »Ich glaube, für die meisten war es zunächst ziemlich irritierend, dass wir uns bei unseren Mustern für das Einfachste vom einfachen entschieden hatten und bloß simple Linien umsetzen wollten, statt hochkomplexe und riesige ornamentale Muster. Denn hier gilt die Maxime – je aufwendiger und teurer das Material, desto besser. Aber wenn man plötzlich in der Situation ist, dass man gestalterische Allgemeinplätze permanent erklären muss, lernt man auch viel über die eigene Haltung. Umgeben von Glitzer, Gold und Opulenz stellt man die eigene Neigung zur Reduktion schnell infrage – das tut etwas weh, vor allem aber gut. Beide Seiten müssen sich zunächst von alten Denkmustern befreien, damit etwas Neues entstehen kann«, erläutert Anna den gemeinsamen Designprozess. Am Ende der drei Wochen sind gut ein halbes Dutzend  Taschen- und Laptop-Taschen-Prototypen entstanden, mit denen alle Beteiligten hochzufrieden sind und denen die Fusion von Ost und West deutlich anzusehen ist.

»Geld zu verdienen ist relativ einfach, einen wirklichen Unterschied zu machen, ist wesentlich schwieriger«

Jackie Fong ist eine der beiden Firmenchefinnen von Tanoti Crafts und führt den Betrieb seit 2012 als soziales Unternehmen. Jackie ist eine kleine, resolute Powerfrau, die ebenso gewitzt und verschmitzt wie zielstrebig ist. Vor Jahren hat sie ein kleines Vermögen an der Börse verdient und besitzt inzwischen drei Hotels. Die Hotels sind allerdings eher Mittel zum Zweck. Denn die Enddreißigerin verwendet all ihre Energie und einen Großteil ihrer Lebenszeit darauf, traditionellen malaysischen Handwerkswerks-Techniken mithilfe von Tanoti Crafts zu einem Imagewandel zu verhelfen und dieses uralte Kulturgut für junge Frauen wieder attraktiv zu machen. Tanoti ist für die Unternehmerin, die für ihre Angestellten wie eine Löwin kämpft, weit mehr als nur eine Produktionsstätte, sondern eine echte Lebensaufgabe. Sie ist überzeugt: »Geld zu verdienen ist relativ einfach, einen wirklichen Unterschied zu machen, ist wesentlich schwieriger.« Jackies Ziel ist es, eine enge Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu kultivieren, Frauen zu stärken und zu finanzieller Unabhängigkeit zu verhelfen sowie Traditionen mit Innovationen zu verknüpfen und die Frauen dazu zu ermutigen, sich immer wieder auf Neues einzulassen. Die Textilresidenz des Goethe Institutes kam also genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort!

Traditionen bewahren & gemeinsam zu etwas Neuem transformieren

Projekte wie Ikat/eCut schaffen den irrsinnigen Spagat, in einer Welt voller Konsumgüter, Produkte herzustellen, die Menschen in den abgelegensten Teilen der Erde ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Sie helfen, uralte Traditionen zu bewahren und in Zusammenarbeit zu etwas Neuem zu transformieren. Und das ist ja auch letztendlich genau das, worum es im Leben geht – nämlich voneinander zu lernen. Schließlich sind wir alle, wenn auch auf unsichtbare Weise, miteinander verwoben…

Vorfreude ist ja bekanntlich die schönste: Einen Teil der Produkte, die die Designer in den drei Wochen kreiert haben, werdet ihr im kommenden Sommer im Fair Fashion Online Shop Folkdays bewundern und beziehen können.

 

PSSSST! Alle, die sich anlässlich der Fashion Week in Berlin aufhalten, erfahren auf dem Greenshowroom und der Ethical Fashion Show mehr über die tolle Ikat/eCut Initiative. Außerdem könnt ihr die Produkte im Anschluss an die Messe am 4. Juli im Berliner Folkdays Store bewundern und vor Ort mit den Designern und Produzenten sprechen, die dank der Unterstützung des Goethe Institutes ein weiteres Mal alle an einem Ort zusammen kommen – diesmal auf europäischem Boden. Hier findet ihr alle relevanten Infos!

 

Fotos: Juliana TanSandra Schollmeyer, Stefanie Rittler, Goethe-Institut/Ramos Pane

 

Und hier geht’s zu einem Artikel über ein tolles Berliner Social Business Brand: Conflictfood – Faire Produkte aus Krisenregionen!

 

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