Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein?

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament? Auf ein Wort mit Tchibo

Bio-Baumwolle, Kaffee-Farmer Initiativen, recyceltes Plastik und jede Menge gute Laune. Vor einigen Wochen haben wir Tchibo besucht. Unter dem Motto »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« hatte das hanseatische Unternehmen geladen, um seine neue Nachhaltigkeits-Kampagne vorzustellen. Und hat uns dabei ebenso viele Einblicke wie Fragen aufgezeigt. Warum wir persönlich finden, dass ein Konzern wie Tchibo nicht nachhaltig sein kann.

 

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament? Nanda Bergmann      

»Für uns ist Nachhaltigkeit eine Religion«

Bäm! Bei den Worten von CEO Thomas Linemayr schlackern Fenja und mir die Ohren. Was für ein Statement! Das trauen wir uns ja noch nicht einmal zu sagen. Doch Herr Linemayr ist sich dieser Position sehr sicher.

Ohne Frage. Für ein Unternehmen, mit 3,2 Milliarden Euro Umsatz im Jahr, hat Tchibo ambitionierte Visionen. Ein wichtiger Wake-Up-Call für das hanseatische Handelshaus: 2005 gingen Textilarbeiter*innen aus den Fabriken, die auch für Tchibo produzierten, auf die Straße und machten auf ihre menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen aufmerksam. Vieles wurde verändert. Doch ist es genug, um dem »Mainstream«, wie Nanda Bergstein (Director Corporate Responibility) bei ihrer Eröffnungsrede zum Presseevent erklärt, zu zeigen, dass nachhaltig leben schon mit dem Gang in die Tchibo Filiale funktioniert?

Mit ihrer groß angelegten Kampagne »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« trifft Tchibo den Puls der Zeit. Immer mehr Menschen überdenken ihren ökologischen Fußabdruck und hinterfragen die Produkte, die sie konsumieren. Springt das Unternehmen hier profitorientiert auf den Trend-Zug auf, ist es vielleicht Greenwashing oder steht hinter all dem ein wahrer Konzern-Wandel?

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament?

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament?

Tchibo – das Know-how ist vorhanden

Am besagten Presse-Event durften wir für jeweils 15 Minuten in die einzelnen Tchibo-Welten rund um Bio-Baumwolle, Kaffee, Recycling/Kreislaufwirtschaft und Produktionsbedingungen reinschnuppern. Die Köpfe glühten – nicht nur wegen der gefühlten 50 Grad in der Firmen-Turnhalle, in der die Veranstaltung stattfand. Die Turbo-Mini-Workshops fühlten sich ein wenig wie nachhaltiges Speed-Dating mit Produkten an: Kopf auf, Infos rein. Wir hatten das Gefühl, dass wir gar keine Zeit hatten, in Ruhe Nachfragen zu stellen, denn schnell wurden wir per Megafon aufgefordert, doch bitte sofort zum nächsten Info-Stand weiter zu gehen, sobald die Zeit überschritten wurde. Wir haben einiges über Tchibo gelernt. Wirklich einiges Gutes – und zeitgleich tauchten ebenso viele neue Fragen auf.

Das Gute vorweg: Tchibo nutzt keinen Echtpelz, kein Angora, keine Mulesing Wolle und versucht seit 2014 konsequent auf mit Chrom gegerbtes Leder zu verzichten. Sie arbeiten an wiederverwendbaren Versandlösungen, die bereits 2020 starten sollen und wollen ebenso auf die Plastikverpackung ihrer Kleidung verzichten. Sie nutzen teilweise Siegel wie Fairtrade oder das europäische Bio-Siegel. Tchibo bietet die Möglichkeit, Kleidung auf Zeit zu mieten und verwendet in rund 20 % der aus recycelten Fasern hergestellten Produkten das von Aquafil hergestellte Econyl, gewonnen aus alten Fischernetzen, die chemisch aufbereitet und als Faser gesponnen werden. Die Textilien aus oder mit Baumwolle sind zu 86 % aus nachhaltiger Baumwolle gefertigt. Tchibo ist damit weltweit der drittgrößte Verwender von Bio-Baumwolle.

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament?

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament?

»Jede Woche eine neue Welt« – viel hilft nicht viel

Ein elementarer Werbe-Spruch der Tchibo Nachhaltigkeits-Kampagne: »198 Millionen gefüllte Badewannen konnte Tchibo 2018 durch die Verwendung von Bio-Baumwolle einsparen« Das entspricht 30 Milliarden Liter Wasser. Auf Nachfrage, wie vielen Tonnen Bio-Baumwolle das entspricht, kam folgende Antwort von Sandra Coy, Referentin für Nachhaltigkeit & Qualität: »Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Stückzahlen oder Mengen aus Wettbewerbsgesichtspunkten nicht nennen.« Diese Aussage begegnete uns in Anbetracht vieler Fragen – immer wieder dann, wenn es um die tatsächliche Menge der jeweiligen Produkte ging. Stellt Tchibo 10.000 T-Shirts aus Bio-Baumwolle her? 100.000? Oder sogar 1.000.000? Wir wissen es nicht.

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament? Auf ein Wort mit Tchibo

Weiteres Beispiel das Thema Viskose – eine zellulosebasierte Faser, für die beispielsweise Buchen verwendet werden. Bäume – die Retter unseres Klimas. Auch hier fragten wir nach: Mit dem Claim »Kann ein Nachthemd Wälder schützen?« werben Sie auf Ihrer Website. Wie viele Tonnen Viskose und andere auf Zellulosefaser basierenden Kleidungsstücke produzieren Sie pro Jahr?« Tchibo antwortete: »Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir Stückzahlen oder Mengen aus Wettbewerbsgesichtspunkten nicht nennen.« Auch auf Nachfrage nach einzelnen Produkten, die wir im Onlineshop gesehen haben, gab es keine Auskunft über die tatsächliche Menge an Produkten, die Tchibo verkauft. Oder hättest du nicht auch gerne gewusst, wie viele USB-Ladegeräte »Zapfhahn«, Damen-Gartenscheren, mitzählende Flaschenöffner oder LED-Toilettenpapierhalter verkauft wurden? Uns persönlich stört, dass Tchibo Zahlen nennt, die man dann aber schwer in Relation setzen kann, weil Nachfragen dazu aus Wettbewerbsgesichtspunkten nicht beantwortet werden können. Wir fragen uns, wieso gewisse Zahlen dann überhaupt genannt und in der Kommunikation genutzt werden?

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament? Auf ein Wort mit Tchibo
»Jede Woche eine neue Welt« – Wie kann das nachhaltig sein?

Bei unseren Recherchen stießen wir auf 1500 bis 2000 neue Produkte in unbekannter Stückzahl, die jedes Jahr von Tchibo auf den Markt gebracht werden. Dutzende Scouts spüren weltweit Trends nach, um den nach eigenen Aussagen »Eckpfeiler« des Unternehmens immer wieder neu zu bedienen: Den Inspirationskauf. Damit möchte Tchibo seine Kund*innen immer wieder »neu überraschen«, so Sandra Coy.

Aber Überraschung! Für diese vielleicht sogar Millionen von Produkten, die Tchibo jedes Jahr auf den Markt bringt, nutzt das Unternehmen Bio-Baumwolle, Viskose, recycelte Fasern. In Massen! 1500 bis 2000 Produkte – und in welcher Stückzahl? Wichtige Ressourcen, die Tchibo als drittgrößter Verwender der raren und wertvollen Ressource Bio-Baumwolle für unzählige Produkte verschwendet, die – unserer Meinung nach – kein Mensch braucht: Ein Turban-Handtuch oder ein Handtuch-Kleid aus Bio-Baumwolle? Das Tchibo-Regal verleitet zu Spontan-Käufen. Gezieltes und gut überlegtes Einkaufen ist so gut wie nicht möglich, denn Tchibo hat laut eigener Aussage kein Standardsortiment. Außer bei Kaffee.

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament?

Coffee to no go

Hier wirbt Tchibo mit den »35.000 Kaffee-Farmern«, die sie durch ihre Qualifizierungskampagne erreicht haben sollen. 35.000 von rund 400.000 Farmern weltweit, mit denen Tchibo zusammenarbeitet. Das sind etwas mehr als 8 %. Kaffee ist seit der Gründung von Tchibo ein Kerngeschäft. Geht da nicht mehr? Die Qualifizierungskampagne läuft seit über 10 Jahren. Zudem tragen die unterschiedlichen Kaffee-Sorten ganz unterschiedliche Siegel. Vor allem Labels wie »Rainforest Alliance« oder »UTZ«, die sehr industriefreundlich sind und von unabhängigen Institutionen zum Teil kritisch bewertet werden. Manchmal mit Bio-Siegel, manchmal mit Fairtrade-Siegel – wobei letzteres nicht bedeutet, dass der Kaffee ökologisch gewirtschaftet wurde oder umgekehrt bedeutet Bio nicht, dass die Bauern fair bezahlt werden. Es gibt keine Stringenz und dazu sogar ein selbstgemachtes, hauseigenes Siegel, das Tchibo auch für andere Produkte verwendet, wie zum Beispiel ihre Kleidung. Eine auf grüner Farbe hinterlegte Weltkugel, unter der steht »Gut gemacht! 100 % zertifizierter Kaffee« Das gibt doch ein gutes Gefühl, oder? Auf Nachfrage, was »Gut gemacht« denn für ein Siegel sei, sagte uns der zuständige Mitarbeiter auf dem Presseevent »Das ist unser eigenes«.

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament? Auf ein Wort mit Tchibo

Zudem ist Tchibo auch erst im Jahre 2016 ins Kaffee-Kapselgeschäft eingestiegen und bietet einen »urbanen Kaffeekapsel-Automaten« an, der via App und Alexa gesteuert werden kann. Laut des Unternehmens sind die zu 100 % aus Polypropylen (also Kunststoff) hergestellten Kaffee-Würfel recycelbar und auch die Form ist viel ressourcenschonender als bei herkömmlichen Kapseln. Doch wie man seit Nespresso weiß, werden die Kapseln in den seltensten Fällen richtig entsorgt oder am Ende der Müllkette richtig verwertet. In einer Zeit in der unserer Meinung nach Müllvermeidung eigentlich an der Tagesordnung jedes großen und kleinen Unternehmens stehen sollte, ist diese Entwicklung von Kaffeekapseln für uns nicht nachvollziehbar und komplett unnötig, wenn man sich wie Tchibo mit dem Spruch rühmt: »Für uns ist Nachhaltigkeit eine Religion«. Zudem kostet 1 kg Tchibo Kapselkaffee fast 50 Euro. Meinen solidarischen El Rojito Bio-Kaffee bekomme ich im unverpackt Supermarkt für 26 Euro das Kilo.

Tchibo »Nachhaltiger leben. Jeden Tag« – Wie kann ein Großkonzern nachhaltig sein? Greenwashing oder wirklich nachhaltiges Engament?

Nachhaltigkeit und Massenproduktion werden keine Freunde!

»Nachhaltigkeit muss nicht teuer sein, darf sie auch nicht, wenn sie wirklich viele Kunden erreichen soll. Und das ist das Ziel«, schreibt uns Sandra Coy auf Nachfrage, warum Tchibo von sich selbst sage, es habe in seinem Angebot ein gutes »Preis-Leistungs-Verhältnis«. Allerdings dürfe es natürlich auch nicht zu »Discountpreisen« kommen, so Sandra Coy. Ob ein Shorty-Pyjama aus Bio-Baumwolle für 17,99 Euro nicht discountpreisverdächtig ist? Da ziehe ich die eine Augenbraue hoch.

Fakt ist, dass Tchibo viel Know-how in unterschiedlichen Bereichen besitzt – aber dieses Wissen, diese technische Expertise und ebenso der finanzielle Hebel wird dazu genutzt, um Massenproduktion zu betreiben. Und das zu 75 % noch nicht einmal für Lebensmittel, sondern für Dinge, die wir nicht brauchen. Oder steht bei dir schon seit langem eine Fußreinigungs- und Massagematte für die Dusche, eine Kiwi-to-go-Box (für eine Kiwi), ein Bananenschneider oder ein Zitrussprüher auf der Wunschliste? Ich sehe Großkonzerne in der Verantwortung, ressourcenschonend mit den zur Verfügung stehenden Materialien umzugehen. Tchibo tut das unserer Meinung nach nicht und deshalb ist – für uns persönlich – die groß angelegte Nachhaltigkeits-Kampagne auch mehr Schein als Sein.

Nachhaltigkeit kostet Geld. Nachhaltigkeit fördert Lokalität. Und Nachhaltigkeit bedeutet vor allem, Menschen darin zu stärken, auf Dinge zu verzichten und Produkte herzustellen, die nicht nach ein paar Wochen durch den nächsten, überraschenden Inspirationskauf ersetzt werden.

 

Was denkt ihr darüber? Zählt für euch nur das nachhaltig produzierte Produkt? Oder doch das Gesamtkonzept? Kauft ihr bei Tchibo und würdet ihr Produkte aus der Nachhaltigkeits-Kampagne kaufen? Wenn ja, warum? Teilt uns gerne eure Gedanken via Instagram oder Facebook mit. Wir freuen uns auf eure Kommentare und den Austausch mit euch.

Ihr habt Lust auf noch mehr Insights zum Thema »Tchibo und Nachhaltigkeit«. Bei Sandra von Conscious Hamburg findet ihr weitere, wertvolle Gedanken dazu.

 

Auf Nachfrage stellen wir dir gerne die Quellen dieses Artikel zur Verfügung.

 

Fotos: PR

 

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