Kleiderei – Pola Fendel und Thekla Wilkening im Interview

Fair Fashion, Slow Fashion: Kleiderei – Pola Fendel und Thekla Wilkening im Interview

Moderne Leiharbeit! Wir haben mit Thekla Wilkening und Pola Fendel über ihr erfolgreiches, 2012 gegründetes Business Kleiderei, über magische »Knutsch-Kleider«, den Modekonsum von Männern, die Fashion Week ihrer Träume und natürlich über Zukunftspläne gesprochen.

Als ihr vor gut fünf Jahren eure Kleiderei ins Leben gerufen habt, war das Medienecho riesig. »brand eins«, »Brigitte«, »Spiegel Online«, »Deutschlandradio« und zahlreiche andere Medien haben damals über eure smarte Geschäftsidee berichtet. Wie erklärt ihr euch im Nachhinein diese unglaublich positive Resonanz der verschiedensten Medien?
Wir hatten, ohne es zu planen oder zu ahnen, genau den Zeitgeist getroffen. Alle schienen auf eine Alternative zum jahrzehntelangen Überkonsum gewartet zu haben, vor allem in der Mode. Etwas, das Fast Fashion den Kampf ansagt und dabei stylish ist, war vor fünf Jahren, vor allem in Deutschland, eher rar. Zudem waren wir unheimlich junge Gründer, gerade Anfang 20, die etwas bewegen wollten – diese Energie gefiel der Presse sicherlich ebenfalls.

Wie kam es eigentlich zu der Idee dieses »begehbaren Kleiderschrankes«, aus dem sich jeder bedienen kann, ohne die Teile zu kaufen?
Die Wahrheit ist, dass es vor zehn Jahren (!) ein Kleid gab, das Thekla und ich das »Knutsch-Kleid« nannten: Wer immer es aus unserer WG auslieh – wem genau es ursprünglich mal gehört hatte, wissen wir selber nicht mehr so richtig – und zum Tanzen trug, konnte sich sicher sein, in der Nacht zu knutschen. Diese Magie schoben wir damals schon auf das spezielle Gefühl, das entsteht, wenn man etwas Geliehenes trägt. Und als wir im Spätsommer 2012 bei einer Flasche Wein über das Knutsch-Kleid philosophierten, beschlossen wir, dass es so etwas eigentlich auch professionell geben sollte und wir damit der uns verhassten Fast Fashion den stärksten Gegner überhaupt gegenüberstellen könnten: the power of sharing.

Welche Vorteile bringt das Leihen von Kleidung, mal abgesehen von Geldersparnissen und den positiven Auswirkungen auf die Umwelt noch mit sich?
Ganz klar: den Ausprobier-Spielraum. Das Spiel mit Identitäten, das Sich-ausprobieren-Können: Wie fühle ich mich in dem roten Minikleid, wie im grauen Kostüm? Das wird durch Leihen überhaupt erst richtig möglich, da du keine Kauf-Entscheidung treffen musst.

Würde das Ganze nicht auch für Männer funktionieren? Und was kann man von Männern in Sachen Mode und Konsum lernen?
Für manche Männer wäre Kleiderei sicher auch ein Spaß. Man muss aber für die Modeindustrie klar sagen: Frauen sind das Problem. Für die Shopping-Lust der Frauen muss es Alternativen geben, Männer kaufen zumeist deutlich weniger und deutlich mehr nach tatsächlichem Bedarf und achten dabei auch noch mehr auf Qualität. Da sollten wir uns einige Scheiben abschneiden.

Zusätzlich zu eurem Onlineshop Kleiderei.com gibt`s auch ein Ladengeschäft in Köln. Warum gibt es eigentlich keinen Store (mehr) in Hamburg oder einen Ableger in Berlin?
Der Kölner Store funktioniert nach dem Franchise-Prinzip: Wenn wir dafür engagierte Personen plus idealerweise Ladenlokale auch in anderen Städten finden, machen wir dort gerne sofort weitere Shops auf. Hamburg und Berlin sind dabei natürlich ganz oben auf der Planungsliste – einen permanenten Store neben dem Online-Business zu halten, ist für uns allein jedoch nicht machbar.

Aus einer intuitiven Idee ist ein richtiges Unternehmen geworden. Ihr habt inzwischen sechs Mitarbeiter und zieht bald in ein riesiges Office in die Hafencity um, das ihr euch gemeinsam mit dem Hamburger Slow Fashion Brand »Jan `n June« teilt. Gab es jemals Momente der Überforderung?
Aber klar, immer und immer wieder. Es kostet immer wieder neuen Mut und Kraft, so ein Unternehmen auf- zubauen und weiterzukommen. Stellt euch das vor: Wir haben uns all das ja ausgedacht – und geben es heraus in die Welt. Das macht nicht nur stark und stolz, sondern eben auch sehr verletzlich. Es kommen immer wieder Momente, in denen etwas nicht funktioniert oder alles zu gut funktioniert und die Überforderung Magenschmerzen bereitet oder sogar in Sekunden-Panik umschlägt. Gottseidank haben wir einander und einige weitere Menschen um uns, um in solchen Momenten den Boden unter die Füße zurückgebaut zu bekommen.

Wie hat sich euer eigenes Konsumverhalten seit 2012 verändert?
Wir kaufen definitiv in allen Bereichen bewusster. Plötzlich stehe ich im Bettenladen und kaufe den 20 Euro teureren Bettbezug, weil er aus Biobaumwolle ist, oder die Avocado heute nicht, weil ich gestern schon eine hatte und es mir verschwenderisch vorkommt. Dabei sind wir keine Heiligen, die niemals mehr Fehlkäufe tätigen oder alles richtig machen – aber das Bewusstsein hat sich auf jeden Fall stark verändert. Neben Kleidern teilen wir vor allem Wohnungen, Fahrräder und Musik.

Wie viele Kleidungsstücke besitzt ihr schätzungsweise?
Puh, immer noch zu viele, um sie zu zählen, auf jeden Fall.

Wann habt ihr euer letztes Kleidungsstück gekauft? Und was genau habt ihr erstanden?
Pola: Vintage-Ohrringe bei »Garments Vintage« in Berlin – vor ca. zwei Monaten. Kleider kaufe ich kaum noch (das letzte Mal im vergangenen Sommer ein Kleid von »Black Velvet Circus«). Aber nach großen Vintage-Ohrringen bin ich leider nach wie vor süchtig.
Thekla: Eine perfekt sitzende neue Lieblingshose, eine Vintage-Levi`s, die ich beim letzten »VinoKilo Sale« in Hamburg entdeckt habe.

Auf was können wir uns in der kommenden Zeit freuen? Schmiedet ihr Kooperationen mit Fair Fashion Brands oder gibt es neue Geschäftsmodelle, die ihr an dieser Stelle schon verraten könnt?
Wir arbeiten gerade daran, unsere Brand-Kooperationen stark auszubauen, darauf freuen wir uns sehr. Und es liegt tatsächlich eine Geschäftsmodell-Erweiterung in der Schublade, an die wir uns im nächsten Jahr machen werden… Aber das ist noch ultrageheim.

Wie sähe die Fashion Week eurer Träume aus?
Es gäbe nur eco-faire Mode (eh klar!) und Handys wären verboten. Babykatzen würden über die Messen streichen (nur in Polas Version) und alle Taxifahrten zu den Messestandorten wären für die drei Tage kostenlos.

Was ist das schönste Kompliment, das man euch jemals gemacht hat?
»Kleiderei ist wie Weihnachten jeden Monat.« Das hat uns mal eine Kundin geschrieben. So schön!

 

Und so funktioniert das Kleiderei-Prinzip:
Der Kleiderei Fundus setzt sich zusammen aus Vintage Teilen, Ex-Lieblingsstücken & Fehlkäufen verschiedenster Frauen, exklusiven Einzelteilen von Jung-Designern und ecofairen Brands. Brands wie Black Velvet Circus, Bridge & Tunnel, Lanius, Jungle Folk, Musswessels, Mud Jeans und Studio Jux. Gegen eine Monatspauschale von 49 Euro kannst du dir vier Kleidungsstücke pro Monat ausleihen. Du behältst deine Auswahl so lange, bis du Lust auf Neues hast. Der Hin- und Rückversand sind kostenlos. Mehr Infos unter kleiderei.com.

Fotos: Denys Karlinskyy

 

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