Kindersklaven auf afrikanischen Kakaoplantagen
Im Juli 2015 veröffentlichte die Tulane University in New Orleans eine Studie, die der Kakaoindustrie ein vernichtendes Zeugnis ausstellt: Trotz zahlreicher Gegenmaßnahmen, die aber wohl nur halbherzig durchgeführt wurden, ist die Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen Afrikas im Vergleich zu den Jahren 2008/2009 um 51 Prozent und die Anzahl der unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeitenden Kinder auf insgesamt 1,1 Millionen gestiegen, ein Zuwachs von rund 10 Prozent.
Der Deutschen liebste Nascherei bezahlen sie mit ihrer Kindheit (was gibt es denn wertvolleres als das). Damit die Schokolade auch dieses Jahr wieder zartschmelzend in den Mündern weihnachtsseliger Sprösslinge der Ersten Welt endet, werden Kinder schon im Alter von sechs Jahren in die Kakaoplantagen getrieben, verkauft von bettelarmen Eltern, gelockt durch angeblich gute Löhne, entführt von skrupellosen Menschenhändlern. Jahrelang hacken sie mit Macheten, die mitunter halb so groß sind wie sie selber, die Früchte von den Kakaobäumen. Die Körper von Narben gezeichnet – unbehandelte Verletzungen durch die Klingen. Die Kinder schleppen viele Kilo schwere Säcke auf ihren Köpfen zu den Sammelstellen, spalten die Früchte mit der Machete ohne Schutzhandschuhe, um an die Kakaobohnen zu gelangen. Fluchtversuche enden in Prügelorgien. Regelmäßig werden die Plantagen mit Pestiziden und Herbiziden überzogen, damit die empfindlichen Kakaobäume nicht eingehen. Dass sich der Giftteppich über die Kinder legt, wird verheimlicht – wie auch alles andere Bitterböse, was es über die zarteste Versuchung der Lebensmittelbranche zu erzählen gibt.
Seit dem Jahr 2000, als Journalisten erstmals von Kinderarbeitern und Kindersklaven auf den Kakaoplantagen Ghanas und der Elfenbeinküste berichteten, ist die Schokoladenindustrie trotz ständiger Willensbekundungen nicht in der Lage, im Hauptanbaugebiet Afrika Produktionsbedingungen wie auf den Plantagen Südamerikas und Südostasiens zu schaffen. Dort ist Kinderausbeutung kaum ein Thema.
Der Schokoladenmarkt wird von einer Handvoll Global Player beherrscht
Der 90 Milliarden Dollar umfassende Schokoladenmarkt wird von einer Handvoll mächtiger globaler Player beherrscht. Schokolade ist ein Schmiermittel, das einen weltumspannenden Wirtschaftszyklus am Laufen hält. Er sorgt dafür, dass für Konzerne und Verbraucher alles so weiterläuft, wie sie es seit Jahrzehnten gewohnt sind: sinkende Rohstoffpreise, steigende Profite, günstige Produkte in überbordender Auswahl.
Den Kakaomarkt Afrikas beherrscht Neokolonialismus in brutalster Form. Auf der einen Seite steht ein Millionenheer von Kakaobauern, die selten über mehr als ein paar Hektar Kakaoplantagen verfügen, damit rund 150 Euro im Jahr verdienen und davon auch noch oft eine Pacht bezahlen müssen. Sie beschäftigen billige Kinderarbeiter, um überhaupt Gewinne zu produzieren. Auf der anderen Seite drücken skrupellose Zwischenhändler im Sinne westlicher Konzerne die Preise immer weiter nach unten. Um die vier Prozent vom Verkaufserlös geht an die Bauern. Anfang der 1980er Jahre waren es noch 16 Prozent. Auch die Regierungen der wichtigsten Kakaoländer Afrikas, Ghana und Elfenbeinküste, bedienen sich kräftig. Die Bauern erhalten nur 70 Prozent des Weltmarktpreises. Mit dem Rest tilgen die Staaten Schulden bei der Weltbank.
Kakao zu fairen Preisen könnte eine sichere Wirtschaftssäule sein
Dabei birgt Kakao ein kaum zu überschätzendes Potenzial. 90 Prozent der weltweiten Kakaoproduktion erfolgt auf kleinbäuerlicher Ebene. Kakao zu fairen Preisen könnte eine sichere Säule der gebeutelten afrikanischen Wirtschaft sein. Stattdessen gräbt sich dieses System selbst das Wasser ab. Das gnadenlose Spiel der Zwischenhändler und Konzerne mit den wehrlosen Bauern und Arbeitern könnte in einem Zusammenbruch der Kakaowirtschaft münden und Kakao wieder zu dem machen, was es die längste Zeit seiner 1500 Jahre langen Genuss-Geschichte war: ein Luxusprodukt. Die Kakaobäume Afrikas verlieren massiv an Produktivität. Sie können zwar 200 Jahre alt werden, aber schon nach 20 Jahren beginnen sie weniger Früchte zu tragen und werden unrentabel. Den Bauern fehlt jedoch das Geld, um neue Pflanzen zu kaufen. 2013 sah sich Nestlé gezwungen, ihnen eine Million Schösslinge zu schenken. Auch die extreme Landflucht macht der Kakaoproduktion zu schaffen. In Ghana sind die Kakaobauern im Durchschnitt 55 Jahre alt. Finden sie keine Nachfolger, geht das Wissen um den Kakaoanbau verloren. Hinzu kommt der Klimawandel. Kakaobäume vertragen keine Dürren, die aufgrund der abgeholzten Regenwälder häufiger vorkommen. Und sie brauchen Schattenbäume, um zu gedeihen. Es gibt zwar Neuzüchtungen, die Trockenheit und Sonne besser vertragen. Doch die können sich die Bauern kaum leisten.
Angesichts des drohenden Debakels an gleich mehreren Fronten hat sich die Schokoladenindustrie selbst verpflichtet, bis zum Jahr 2020 rund 400 Millionen Dollar zu investieren, um mittels eines Kontrollsystems die Kakaoproduktion auf umweltfreundliche und humane Basis zu stellen. Das klingt nach Entschlossenheit. Doch das Vorhaben existiert bereits seit 15 Jahren – und nichts ist passiert. Das wirklich Bittere an der Geschichte: Weder die am Existenzminimum lebenden Kakaobauern noch die Kinderarbeiter Afrikas werden in ihrem Leben jemals Schokolade essen. Das tun am Ende nur die Menschen in den westlichen Staaten.
Die Macht der Verbraucher – Fairtrade Schokolade & Bio-Siegel
Am Ende hat es der Schokoladenliebhaber und Verbraucher in der Hand. Immerhin beträgt der Anteil von Schokolade mit sozialen und ökologischen Gütesiegeln inzwischen 16 Prozent. Um nur die bekannteren zu nennen: UTZ und Rainforest Alliance fördern die Umstrukturierung auf eher niedrigem Niveau. Großen Erfolg am Markt haben die Fairtrade-Produkte. Bei ihnen liegt der Anteil zertifizierten Kakaos beim Endprodukt höher (bei 20 Prozent). Die Arbeits- und Umweltschutzrichtlinien sind anspruchsvoller und die Kontrollen schärfer. Die strengsten Ansprüche stellt GEPA: hohe Sozialstandards, unter anderem ein striktes Verbot von Kinderarbeit; die Produkte müssen zu 75 Prozent fair gehandelt sein.
Auch Bio-Siegel vermeiden das Risiko, rücksichtslos produzierte Schokolade zu kaufen. An tollen (und leckeren) Alternativen mangelt es also nicht.
Unsere Lieblings-Schokoladen stellen wir euch in unserem Guide fair gehandelte und handgefertigte Schokolade vor!
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